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einhorn insel der seligen

Wenn Katschbar lacht ...


Durch die Stille der Halle bellt ein Schuss. Er trifft die rechte Schulter der langsam dahingleitenden Mönchsdrohne ins Mark, zerschmettert sie. Der Explosionsdruck erzeugt eine radialsymmetrische Eruption von kleinsten Schulterteilchen, die sich langsam im ganzen Raum verteilen wird.

Die Mönchsfigur, bartlos und die vorgeschriebene Sicherheitskleidung tragend, jedoch in Meditation befangen, musste um ihr Gesicht fürchten, zumal sich auch im Ausschnitt des Kaftans glühheiße Schultermarkpartikel gesammelt haben. Im nächsten Augenblick jedoch sind Mönch und Tiger hart auf dem Boden aufgeschlagen. Der rechte Arm hat sich in Ermangelung seiner pulverisierten Schulter vom Drohnenkörper gelöst und folgt diesem in den Sturz.

Die Drohne ist beschädigt und nicht mehr flugtüchtig, während die Tigerfigur mehrere Salti vollführt, bis sie endgültig liegen bleibt. Erstaunlicherweise in genau der gleichen Position zu Füßen des Mönchs wie in der Luft. Das versichert jedenfalls der Ballistiker.

Die Polizei, blitzschnell alarmiert und zur Stelle, weil in der benachbarten Kirche mit einem Opferstockraub befasst, geht nicht von einem terroristischen Anschlag aus (was sie normalerweise sowieso nie tut bzw. zugibt). Doch sind sofort Stimmen laut geworden, die sie zu strengster Untersuchung ermahnen. Die leitenden Ermittler sollten sich um keinen Preis von dem Radiergummi-Tiger blenden lassen, wohl einer Spezialanfertigung in Übergröße, wie sofort am Tatort festgestellt werden konnte. Eine Ablenkung vom Wesentlichen sei das. Das Wesentliche müsse in der fliegenden Figur stecken.

Natürlich entdeckt die Polizei die Aufschrift STAG, eingerahmt von einem exakt gezogenen schwarzen Quadrat. Unter den in die Halle strömenden selbsternannten Zeugen meldet sich ein eifriger Gymnasialprofessor zu Wort und erklärt, STAG sei die englische Entsprechung des heimischen Wortes HIRSCHBOCK. Kopfschüttelnd notiert es der angesprochene Polizist. Ihm fällt der 1.FC Köln ein, doch welche Verbindung könnte hergestellt werden? Keine, urteilt er. So wenig wie zu BOCKANSTICH oder WALHALLABOCKERL, wie die Kollegen rätseln. Sicher scheint, dass der Anschlag geplant war und keiner spontanen technologischen Phantasie entsprang.

Es stellt sich heraus, dass der Eigentümer des Gummitigers, ein gewisser Herr Janosch, diesen vor mehreren Tagen als vermisst gemeldet hatte. Ohne ihn könne er nicht einschlafen, er sei überglücklich über dessen Restituition, so stand es im Protokoll.

Zur Drohne will sich niemand als Besitzer oder Betreiber bekennen. Die Obduktion findet einen außen wie innen perfekt nachgebauten menschlichen Organismus mit hohem Adrenalinspiegel und erheblichem Vitaminmangel. Nur Gehirn und Nervensystem bestehen aus metallischen Substanzen.

Einzig möglicher Schluss: eine geheimdienstliche Maschine. Eine Sache, von der man besser die Finger lässt. Besonders als Leitender Ermittler in Terrorfragen.

Und der Schütze oder die Schützin? Die oder den sollte man doch wenigstens ausfindig machen!

Die Patrone ist mit der Explosion in der Schulter verglüht und nicht mehr von deren Bauteilen zu unterscheiden. Der Attentäter oder die Attentäterin stieß eine Tür auf, die sofort nach Abgabe des Schusses wieder zuklappte. Welcher Helfershelfer hat diese Tür unversperrt gelassen?

Und wie kamen Drohne und Tiger in die Halle? Gab es ein gekipptes Oberlicht, das sich ebenfalls gleich wieder schloss? Überdies ist ein Tiger, mag er auch aus Gummi sein, nicht flugfähig. Ungeklärt, alles.

Der Tatort liegt nun verlassen, langweilt sich beinahe. Kein Tatortreiniger kommt. Allerdings gibt es nichts zu reinigen. Die Stäubchen der Schulterexplosion sind so mikroskopisch klein, dass sie nicht mehr wahrnehmbar sind. Die Polizei ist abgezogen mit dem ultimativen Foto, das nun auf einem Schreibtisch der Polizeiinspektion zu finden ist und darauf wartet, zwischen Aktendeckeln zu verschwinden.

Wer schießt einem Mönch – egal, ob natürlicher oder künstlicher Substanz – ausgerechnet die Schulter weg? Probleme beim Zielen?

Ein Freigänger aus der Psychiatrie? Ein Irrer? Nicht sozial relevant, jedenfalls. Wird immer mal wieder vorkommen.

Ein religiöser Fanatiker? Hm.

Oder …?

Ach was, sagt Adrian Bär. Es gab keinen Täter und keine Waffe. Keine Schützenliesl und keinen Jennerwein. Die geheimdienstliche Drohne hatte ihren Auftrag – der uns biedere Polizisten nichts angeht – erledigt und vernichtete sich selbst.

Aber – der Tiger? Man hatte Herrn Janoschs Angaben zur Person überprüft, das war man sich als Polizei schuldig. Mochte auch jeder im Lande Herrn Janosch und seine kindischen Einfälle kennen. Aber ein kindsgroßer Gummitiger als Einschlafhilfe? Nun ja. Bei Künstlern ist nichts unmöglich.

Und das schwarze Quadrat mit dem magischen Tiernamen? Ohne letzteren kam es schon einmal vor in der Kunstgeschichte, und damit ist es auch gut. Das denkt sich Bär nur, er ist kein Angeber. Von Malinowski (oder hieß er Zarewitsch?) haben die Kollegen keinen blassen Schimmer.

Mönch – Tiger – Hirschbock, das klingt fast wie Mönch – Eiger – Jungfrau. Puh! Denkt Bär. Bockstark.

Abends nach Dienst, in der Bar Zum Katsche, lacht Bär über seine Chimären. Er spendiert Katsches Enkelin Anna Lena einen Doppelbock. Was kasperst du heute so herum? fragt sie. Fall gelöst?

Ja, antwortet Bär. Vom Täter.


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