
Abstieg und Wiederkehr
In einem Augenblick öffnet sich die Tür, ihre beiden Flügel klappen nach innen auf, ein unwiderstehlich starker Sog entzieht Eurydike Orfeus’ Blick. Der hatte sich eben nach ihr umgedreht, weil sie klagte, keine Kraft mehr zu haben. Er wird mitgerissen von der unsichtbaren Kraft und prallt gegen die Tür, die sich sofort wieder geschlossen hat. Das letzte Bild von ihr, das verbotene und zugleich wiedergefundene, spukt noch flirrend durch sein Hirn: die an Kopf und Körper halbi

Bäume und Menschen
Bäume und Träume … Gibt es einen hübschen Reim auf Menschen ? Klar ist: die Bäume wachsen nicht in den Himmel. Höchstens - hundert Meter!? Wer’s glaubt … Da waren die Menschen mit dem Turm von Babel, was die Höhe betrifft, schon weiter. Gott war indessen not amused und kippte das gute Stück um. Die Strafe folgte auf dem Fuß: die Sprachverwirrung. Die Menschen verstanden sich nicht mehr und verfielen darauf, statt Fremdsprachen zu lernen, sich lieber die Köpfe einzuschlagen. D

Das Tier
Bin nicht das siebenäugige Tier mit den zwölf Hörnern, von dem die Pfaffen und Pfaffenknechte gefaselt haben, Jahrhunderte lang. Hört auf zu zählen. Zahlen vermögen nicht, mich zu erfassen. Bin als Läufer geboren wie ein jeder Mensch. Seht diese Beine, wie sie ausgreifen, wie sie hinstürmen über euer verfluchtes Gelobtes Land, seht meine Arme, wie sie beinahe schwebend die Balance halten? Mein Blick ist schärfer als der des Kalamars, der die Nacht der Tiefsee durchdringt. Mei

Die Unterirdischen
Wir sind die vierzehn Zwerge der Matterhorner Berge. Zweimal sieben. Wir stampfen mit unserer Schippe durch eure Welt. Es schneit nicht mehr. Der Schnee ist geschmolzen und in den Gullis versickert. Für immer vielleicht. Könnt ihr die Krakel-Buchstaben auf dem Gerät lesen? Wer nicht lesen kann oder - schlimmer - nicht lesen will, hopp in den Müllkipper. Was denkt ihr, warum wir das Zeug herumschleppen? Und ab geht es zur Deponie. Nicht ganz so hoch türmt sie sich wie unser Ma

Frau mit Beil
Bist du eine Amazone? Ja, es kann nicht anders sein. Der Künstler hat dich in diesen toll rollende Faltenwurf gekleidet. Ob du selber darauf geachtet hättest? Nicht wegen der Männer, die hattet ihr ja nur nötig von wegen Nachwuchs und das ging immer so rasch wie möglich vonstatten. Eine Kriegerin achtet nicht auf ihr Äußeres, sie will nichts als den Feind stellen und ihn umbringen. Quatsch. Ihr Amazonen wart Griechinnen, und als solche waren euch Schönheit, Harmonie und Anmut

Fritz, Wolltähr und Russo
Potzblitz und Schwerenot! Endlich darf ich. Der Alte wird sehen: ich kann das genauso. Ich hab mich anfangs gefragt, warum der Patient einen Helm trägt. Der ist nicht aus Blech, es sieht nur so aus. Der Alte hat mir gesagt, was es wirklich ist, aber ich behalte das Wort nur schwer. Man kann es mit den Händen verformen, fast so wie die Weiber einen Teig kneten. Bei einem bestimmten Baum entfernt man ein Stück Rinde und stößt auf eine Flüssigkeit, der Baum wird regelrecht angez

Triumph Gelächter Wut und Trauer
Schreien, Junge, verzerrt die Gesichtszüge bis zur Unkenntlichkeit und macht sie hässlich. Sportler, die oft schöne Menschen sind, die aber jedenfalls mehr als andere auf ihren Körper achten, verdrängen das häufig im Augenblick des Triumphs. Der Gewinn des Schreiens besteht vor allem darin, dass man auf dich aufmerksam wird, dass du nicht nur deine Anhänger, Jünger und Sponsoren an deiner Außerordentlichkeit teilnehmen lässt. Es ist auch eine Art Pflicht, denn es ist Teil der

Tauschen und Täuschen
Die Buchstaben bröckeln, die Schlingen der arabischen Schrift verfangen sich ineinander. Im fernen Osten ist die Tusche endgültig getrocknet. Was geschrieben war, verschwindet. Alles. Doch etwas ist noch da. Ein Gespinst. (… und keine Spinne weit und breit …) Unter langen, feinen Fäden ein Vorrat, ein Pool. Etwas Neues. Das wird die Mühsal des Lesens und Schreibens wegfegen von der Welt. Von dieser Welt. Wir tauschen! Wir tauschen unseren Zeichen-Pool aus gegen einen anderen,

Vorschau Rückblick
Warten, warten. Wer Geduld hat, wird belohnt. Die leibliche Aufnahme in den Himmel ist verheißen. Unsere zwei Seelen warten vermutlich dort. So ungeduldig wie wir, hoffentlich. Unsere Büsten bieten der Verwesung Paroli. Der wirkliche Leib verschwindet. Sein Abbild bleibt, in Stein gemeißelt. Wenn das Ende der Welt nicht bald kommt (Wartet nur eine kleine Weile …), wird auch dieses Abbild zu Staub zerfallen sein. Stein, Staub, Verwesung - die Seele ist alledem entkommen. Und s

Begegnung
Eine Gestalt hatte dich aufgehoben, trug dich, du konntest nichts erkennen. Was ist mit deinen Augen? Hast du nicht zuvor vermauerte Ziegelsteine gesehen, rote, graue, grünzerfressene? Du machst träge, ziellose Bewegungen, Reflexe, sie verformen das dicke Tuch, das dieses Wesen über dich gebreitet hat. Es versucht dir nicht weh zu tun. Und du bist doch tot! Was soll dir da noch weh tun? Du liegst auf einer Steinplatte, einer Grabplatte, wie sie früher auf das Grab des Verstor