
Eisgebilde Gleitend haben sie sich ineinander geschoben. Wie die Kontinentalplatten, deren Bewegung ich mir in einer Momentaufnahme so ähnlich ausmale, nur sind diese unterschiedlich groß, Riesen oder Winzlinge. Sie rücken langsam, sehr langsam, gegeneinander vor, so dass ich mir kaum vorstellen kann, dass sie bei der Berührung jene ungeheure Energie entwickeln, die unaufhörlich Vulkanausbrüche erzeugt. Das flüssige, glühend heiße Magma hat nur ein Ziel. Es will nach oben, nach draußen, es will explodieren und ausbrechen. Es nutzt jede Gelegenheit, jede noch so kleine Lücke zwischen den Rändern der Platten, um sich durchzuzwängen. Dabei vergrößert sich die Lücke allmählich, und die urtümlichen Kräfte aus dem Innern der Erde schaffen sich Bahn. Hier beginnt eine Phantasie. Ich bilde mir ein, dass die Kontinentalplatten davon träumen, in einem so harmonischen Bild einer Gemeinschaft vereint zu sein wie diese zu Eis erstarrten Formen. Nicht in Bewegung, sondern statisch und stabil, gleichberechtigt und gewaltfrei. Dabei nicht formlose Materie, die sich bei der gegenseitigen Berührung chaotisch verändert (Bruch, Abspaltung, Verwerfung), sondern in sich selbst gegliedert. Erinnernd an florales Wachsen und Wuchern. Wie Ranken, wie Blattwerk. Oder korinthische Kapitelle. Wind und Temperatur haben das tote Eis zum Leben erweckt. Aber Gipfel und Senken, Rippen und Winkel werden bald wieder verschwinden. Die Drift der Kontinente wird dagegen niemals enden. Selbst als vor undenkbar langer Zeit die ganze Erde von Eis bedeckt war, ging sie weiter. Und das Eis schmolz wieder. So wie Eisblumen tauen, wenn nach kalten Nächten die Sonne aufgeht. Wie bei der Schneeschmelze im Gebirge fließt dann Wasser von den obersten Spitzen durch die Mulden ab nach irgendwohin und versickert. Kaum dass kleine Pfützen übrig bleiben. Und die Imagination. (Foto: G. Rothfelder)