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einhorn insel der seligen

Verstiegen



Der Weg führt nach oben.

Es gibt keine Wiederkehr.

Das hast du geträumt.

Hundertmal hast du es dir wiederholt, bevor du losgezogen bist.

Nur ein paar Ecken weit, da stand dieser Baum. Auf, hinauf!


Wie aber konntest du deine Schuhe ausziehen?

Auf geschätzten drei Höhenmetern!

Bist du dabei in die Hocke gegangen? Oder hast du dich nur gebückt?

Nichts von alledem. Keiner dieser zerbrechlich dünnen Zweige hätte dein Gewicht gehalten.

Und wie hättest du dich an den Stamm schmiegen, besser: dich daran klammern und mit einer oder nur einer halben Hand die Schuhe abstreifen und sie kunstvoll an den sorgfältig zusammengebundenen Schuhbändern an einem etwas festeren Zweig verankern können?

Das glaubt dir keiner. Das ist fast übermenschlich.


Aber wer sollte dir geholfen haben? Sag jetzt bloß nicht: Ein Engel!


Durch das laute Rascheln des trockenen Laubes und die Geräusche abknickender Zweige wären unten Passanten auf dich aufmerksam geworden. Wären stehen geblieben. Hätten dir zugerufen. Hätten gefilmt. Es hätte zu Verkehrsbehinderungen kommen können.


Was haben Sie sich dabei gedacht?

So hätte ein rasch alarmierter Polizeimeister dich peinlich befragt.

Aufrichtig! Du hättest keine Antwort parat gehabt.


Und niemals hätte eine beliebige Antwort deinerseits dem Polizeimeister genügt. Er hätte zunächst den Stamm des Baums umfasst, auf dem du in Begriff warst, weiter zu kletttern, und ihn gerüttelt und geschüttelt. Vergebens. Dann hätte ihm ein kooperationswilliger Passant, der ausgesprochen groß gewachsen war (ein Basketballer, wie sich bei der Zeugenbefragung herausstellte), eine sogenannte Räuberleiter zur Verfügung gestellt, mit Hilfe derer der Polizeimeister, wiewohl durch die baumelnden Schuhe behindert, dich an den Fußgelenken fassen konnte.


Es ergriff mich. Da stieg ich hinauf und an jener Stelle ließ ich die Schwerkraft hinter mir und knüpfte die Schuhe an einen Ast, als Wegmarke. Und fuhr auf. Und wurde ergriffen.


Das hättest du gesagt? Nun, der Polizeimeister hätte reagieren müssen:


Dann wären Sie ja oben oder irgendwo anders, aber nicht hier! Und der Polizeigriff hätte sich noch enger geschlossen.


Im Auffahren begriffen spürte ich den doppelten, obrigkeitlichen, menschenrechtswidrigen Griff an meinen nackten Knöcheln, und heftig, aber leider vergeblich mit den Armen rudernd kehrte ich zurück ins Jammertal.


Das hast du erst später gesagt. Im Verhör auf dem Präsidium. Es steht im Protokoll.


Da ein Polizeimeister einen flüchtigen Verdächtigen niemals losließe, und sei es ihn an beiden Knöcheln haltend und aus weit über zwei Metern Höhe aus dichtem Geäst gegen dessen Willen und Widerstand herunterziehend auf das Trottoir, so stelle ich mir jetzt vor, wie du längelang bäuchlings auf besagtem Trottoir liegst, der Polizeimeister stehend hinter dir, deine Fußgelenke immer noch fest im Griff und schwer atmend, denn das letzte Stück, als das Geäst zu Ende war, bist du frei gefallen, warst aber so geistesgegenwärtig, dich mit den Armen notdürftig abzustützen, so dass Oberkörper und Kopf beim Kontakt mit dem Pflaster nichts Schlimmes zustieß - womit der dienstbeflissene Polizeimeister in seinem Übereifer allerdings rechnen musste.

Es ist also für dich wie für ihn glimpflich ausgegangen?


Nun ja, wie man s nimmt.

Erregung öffentlichen Ärgernisses, Ordnungswidrigkeit, Widerstand gegen die Staatsgewalt, da kam schon etwas zusammen.

Zwei Jahre Beförderungsstopp für den Polizeimeister wegen Inkaufnahme erheblichen Täterschadens bei dessen Dingfestmachung. Und Gelächter seitens der Kollegen, vor allem wegen der Räuberleiter.


Für die Schuhe war niemand zuständig. Die Besitzverhältnisse den Baum betreffend blieben ungeklärt. Mutmaßlicher Eigner ist ein Herr Engel, welcher sich aber auf permanenter Geschäftsreise befindet und, offenbar handylos, nicht zu orten ist.


So hängen sie und baumeln, hängen und baumeln.








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