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einhorn insel der seligen

Liebe und Geist



In der Liebe verliert man manchmal den Kopf. Der liegt dann dumm herum, und denkt und denkt, und nichts passiert. Zum Denken braucht man keine Haut und kein Haar, so ist aus dem Kopf in der Regel ein Schädel geworden. Er verkrümelt sich, so gut er kann, in Nebenstraßen, Parkhäusern und Hinterhöfen.

Denn vielen ist der Anblick unheimlich. Ist die endgültige Trennung vom Körper (durch Blutstau oder ein Verkümmern der Halswirbelsäule) nicht ansteckend? Vorsichtig überprüfen sie den Eigenzustand, legen die Finger an Hals und Nacken und tragen auch im Sommer einen Schal.

Andere machen sich den Spaß und schwadronieren vom Abnabeln: Ob es denn im Körper irgendeinen Freiraum gäbe? Na also. Der sei doch nur im Geist möglich, der im Kopf stecke. So ein Kopf stehe für Pionierarbeit, ein Vordenker einer freiheitlichen Gesellschaft sei er. Museal allerdings, da ohne Follower.

Ein kleiner Teil fasst sich ein Herz und liefert den Schädel bei den Friedhofsbehörden ab. Es gibt dort eine Klappe.

Bleiben Rumpf, Becken und Gliedmaßen. Die sind noch zur Liebe fähig. Virtuell grünlich lumineszierend ist sogar der Kopf noch dran, das bemerkt nur nicht jeder.

Die Liebe ist ein Herz, und das Herz ist ein Ballon. Aufgeblasen und hochgeschubst zum angehimmelten Objekt, einem Sprayer im Trainingsanzug mit einem Kopf in außerirdischem Design. Mit kapriziösen Sensoren und drei vergitterten Augen. Attraktiv, der Kerl?

Da steht er und sprayt seine geistreiche Botschaft. Doch dieser Geistbringer hat leider ein emotionales Defizit: Das Herz beachtet er nicht. Wie es eben so geht. Wo das Hirnschmalz dominiert, hat Gefühl wenig Platz.


Die Liebe ist ein seltsames Spiel, das sagt man so.

Seltsam ist sie stets. Ein Spiel ist sie oft nicht.


Nehmen wir diesen Vermummten. Er ist Sprayer geworden, da er zu viel Geist in sich hat, den möchte er gemeinnützig absondern. Er liebt seinen Beruf. Er erschafft stets neue Schriften mit Zeichen, die für Begriffe stehen und Zusatzzeichen für die Einordnung dieser Begriffe in seinen Denkzusammenhang. Dass er sich dabei an den japanischen Schriftsystemen orientiert hat, will er sich nicht nachsagen lassen. Im Gegenteil; er besteht darauf, mit jedem Spray-Akt Neues zu schaffen. Diese geistige Leistung soll den Betrachter seines Werks dazu ermuntern, die jeweilige Schrift zu entziffern.

So flösse Geist von ihm über die Signatur an der Wand zu dem, der staunend davor stünde und versuchte zu verstehen.


Aber keiner bleibt stehen. Banause um Banause geht achtlos vorbei.


Das ist wie Liebesentzug, und der Geist verplempert sich.

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