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einhorn insel der seligen

BEISSERCHEN



Stell dir vor, du trittst aus der Tür, frühstücksgesättigt und hinreichend zurechtgemacht für einen langen Tag. Zwei Stufen führen dich nach draußen, Vorsicht, tapse nicht wieder in die ewige Pfütze, die nie austrocknen wird, denn sie wartet geduldig, bis das nächste Hochwasser ihren Speicher auffüllt.

Reichlich abwegig, diese Gedanken, angesichts der kämpfenden Ungeheuer, die ein Künstler, der anonym bleiben wollte, an die Trennmauer zum Nachbargrundstück geworfen hat und die du jetzt zum ersten Mal erblickst. Lind war die Nacht, bereit für die Kunst.

Ein banaler Gedanke kommt dir zuerst: Was war diese Mauer für ein idealer Malgrund, Größe und Ziegel-Farbe laden geradezu ein, hier ein Werk zu schaffen. Und meine Haustür blieb außen vor!

Zum Glück wird dir sofort bewusst, wie unangemessen solche Überlegungen sind, wie sie dich ablenken von der Betrachtung des Wandbildes.

Alles geht aus von einem in sich selbst gekrümmt hockenden Riesen, der seinen Arm, baseballschlägerförmig, ausstreckt zur Schulter seines Gegners, um sie weichzuklopfen. Seinem sechsfach bezähntem Mund entschlüpft ein grausiges Krokodil, das sich anschickt, den noch frech hochgereckten Kopf des Antagonisten mit einem Schnapp abzubeißen.

O Schreck, wie konnte ich das übersehen? Der sogenannte Antagonist ist eine Frau! Näschen, Mündchen und hochgesteckte Frisur sprechen eine deutliche Sprache. Die Dame scheint bei aller Bedrängnis noch zu lächeln!

Aus gutem Grund: Plötzlich malt sich in meinem Hirn ein ganz anderes Bild. Dieser Maler hat es faustdick hinter den Ohren!

Er hat die weibliche Figur nach Art von Picassos Marie-Therese-Walter-Periode gemalt: mit lotrecht angeordneten Brüsten und einem linken Arm, der einer in die Nabelgegend verrutschten Schulter entwächst. Die Linke der Frau fährt dem hässlichen Hocker ins Maul, räumt alle Zähne der rechten Seite ab und hält das Zäpfchen fest gepackt. Was du erst für des Riesen linken Arm gehalten hast, ist in Wahrheit der rechte Arm der wehrhaften Dame, der das Genick des Widersachers festhält und ihn am Boden fixiert. So hat er nicht die geringste Chance, einem schrecklichen Debakel zu entgehen.

Während ich den Schauplatz roher Gewalttätigkeiten eilig verlasse, lässt mich das Thema nicht los.

Wenn es in Venedig Trambahnen gäbe, müsste ich befürchten, wie Antoni Gaudi von einer solchen überfahren zu werden.



(Foto: Andreas Chwatal)


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