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einhorn insel der seligen

Im Offenen


Der Durchschnittsbürger hat seine Leichen im Keller. Aber es gibt Ausnahmen und Sonderfälle.

Bei Leichen im Keller stellt sich das Problem der Konservierung. Nötig ist mindestens eine große Tiefkühltruhe – am besten mit Notstromaggregat. Wenn beseitigte Subjekte im Freien gelagert werden sollen, war die Standard-Empfehlung der GMM (Gewerkschaft der Mörder und Mordwilligen), sich den Mord für den Spätherbst vorzunehmen (trotz des traditionell milden Wetters um die Weihnachtszeit).

Dieser Rat kann die GMM heutzutage kaum mehr geben. Denn in immer wärmeren Wintern stößt der Wunsch, noch ein Stückchen Zeit mit seinem Opfer gemeinsam zu verbringen, auf das Problem der Dekomposition.

Die grundsätzliche Frage stellt sich allerdings: Warum ins Freie?

Nun, Mörder erbeuten durch ihre Morde nicht immer Beute. Sie sind also manchmal zum Sparen gezwungen – in diesem Fall betrifft es den enormen Stromverbrauch einer Tiefkühltruhe. Statistikgestützt nimmt man indessen an, dass arme Mörder nicht unbedingt die Regel sind.

Andere Mörder residieren in Hotels oder in Mietwohnungen mit begrenztem Kelleranteil, dessen Inhalt mit einer gewöhnlichen Taschenlampe ermittlungstechnisch leicht erforscht werden kann.

Kelleranlagen dienen zahlreichen anderen Zwecken, etwa als Partyraum für die Jugend oder als Übungsort für Tischtennisfreaks, Kammersänger oder Schlagzeuger. Und direkt im Wohnbereich, etwa in der Küche, möchte man die heikle Fracht nicht unbedingt haben. Vor allem Mörderfrauen zeigen sich hierbei oft widerspenstig.

Ich habe die psychologische Seite des Leichenbehaltens schon angedeutet. Man behauptet ja, den Verbrecher ziehe es stets an den Ort des Verbrechens zurück. An solchen Orten wurde durch im Gebüsch verborgene, geduldig ausharrende Kriminaler schon manch ein Täter gefasst. Das Risiko, geschnappt zu werden, steigt rasant, wenn der Mörder sein Opfer am Tatort verscharrt. Darum nehmen viele ihre Opfer mit nach Hause. Denn es geht ja weniger um den Ort des Verbrechens als sozusagen um dessen Resultat, also das Opfer. Daran hängt das Herz des Mörders, daraus leiten sich sein Stolz und sein Selbstbewusstsein her.

In unserem Fall (Gartenleiche im Vorfrühling) scheint die Analyse klar. Die Abdeckung hält der stärker werdenden Sonne nicht stand, im Gegenteil, das glatte Material heizt sich schneller auf als das umliegende Grasland. Dass das Objekt nicht mit Zweigen abgedeckt oder hinter Holzstapeln verborgen war und sogar problemlos fotografiert werden konnte, wie mir der Fotograf versicherte, deutet darauf hin, dass der Mörder sich von seiner Tat gelöst und nunmehr einen Ortswechsel vorgenommen hat (oder flüchtig ist, wie es die kriminaleske Sprache ausdrückt).

Vorsichtshalber benachrichtigte der ehrliche Finder umgehend die Polizei.

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