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einhorn insel der seligen

Das Himmlische Jerusalem


In paradisum deducant te Angeli:

in tuo adventu suscipiant te Martyres,

et perducant te in civitatem sanctam Ierusalem.

Prima. So wird es sein. Der Seher Johannes beschreibt, wie eine neue, eine vollkommene Stadt vom Himmel niederfährt. Wir Gerechten können drin kostenlos und kündigungsfrei wohnen.

Dafür haben wir einiges durchgemacht. Von der Erde ist dann nämlich nichts mehr da außer dem Baugrund für diese neue, endgültige Siedlung. Die letzte Schlacht der Heiligen Dreifaltigkeit hat mit einem totalen Sieg über das Böse geendet.

Noch ist diese Zeit nicht gekommen. Noch schwebt die Stadt oben in den Lüften. Man sieht imaginäre Abbilder von ihr in manchen Kirchen. Oder auf dem Kirchplatz, wie hier. Immer oben. Damit du aufschauen kannst zu ihr.

Wuchtig ist sie, schroff und eckig. Da würden sich selbst Satan und seine im höllischen Feuer gehärteten Krieger die Zähne ausbeißen. Aber denen hat der LiebeGott ja die Zähne gezogen.

Sie sieht aus wie eine Kasbah, sagen die muslimischen Kinder, die hier regelmäßig mit den Ministranten Fußball spielen. Das verbitten sich die Christenzwerge. Das heißt Jerusalem! Dann schreien sie sich an und gehen aufeinander los. Die paar blauen Flecken, die sie dabei abbekommen, sind die stolzen Male des Kriegers. Erst dann macht Fußball so richtig Spaß.

Was die Kinder zuhause den Eltern erzählen, weiß man nicht genau. Details erfährt der Herr Pfarrer eventuell in der Beichte.

Politiker und Fußballtrainer werden nicht müde zu wiederholen, man müsse nach vorne schauen, zum nächsten Spiel, zur nächsten Sitzung, zur nächsten Wahl. Zur Heiligen Stadt geht dein Blick hinauf zu den Vögeln, den Fliegern und den Wolken, verliert sich am Ende im ätherischen Blau. Das lenkt ab von den grantigen Gesichtern deiner Mitmenschen.

Die Engel kann man ja leider nicht sehen. Viele von ihnen müssen dort droben unterwegs sein. Passiert ja so viel hienieden, wie der Herr Pfarrer fast in jeder Predigt betont.

Wie das wohl genau sein wird, das Leben in der Ewigen Stadt? – Na, Dolce Vita halt!

Die Erwachsenen grinsen, vor allem wir Männer; wir haben unser Kneipengesicht aufgesetzt. Die Kinder rätseln nicht lang herum. Es steht ja alles im Internet. Um Papa auf die Probe zu stellen, fragen sie anders:

Warum, wenn Satan und seine perversen Kriegsscharen endgültig besiegt sind, ist die Stadt nicht nur perfekt befestigt, sondern liegt auch noch auf einem steil abfallenden Felsmassiv? – Kinder, Kinder, fragt doch lieber den Pfarrer! Der freut sich über eure Fragen! – Du weißt es nicht, Papa? – Alles gut, Schluss jetzt! Wo hast du übrigens das Wort pervers her, Junge? - … - Na, schon gut, ich kann’s mir denken: diese Lausbuben von der Balthasar Neumann - Straße. Aber sag‘s nicht vor Mama!


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