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einhorn insel der seligen

El mecedor


Gemessen schritt der Mann zu seinem Stuhl, nahm Platz und setzte ihn behutsam in Bewegung. Er achtete auf einen gleichmäßigen Rhythmus, der nötig war, um ihn in Trance zu versetzen. Die übermannshohe Hecke, die den Garten umfriedete, hielt Störungen zuverlässig fern. Und die Vögel sahen dem schaukelnden Mann gerne zu.

Die besonderen Pflanzen, die Meister Ungherbroeder in seinem Garten gelegentlich erntete, bedurften keiner Pflege und gediehen von selber, ein Geschenk des besonderen Klimas in Behmberg, wie der Meister einer vertrauten Cousine aus Zehmberg gegenüber einmal ausführte. Aus ihnen mischte der Meister allerlei Essenzen, die er erfolgreich vertrieb. Wildwuchs diente zur natürlichen Tarnung. Das Amt für öffentliche Ordnung hatte sich angesichts der Unordnung im Garten zunächst als amtsfromm zudringlich erwiesen, aber inzwischen drohte man Kontrollgänge nur mehr an. Die damit beauftragten Beamten scheuten sich, in das Labyrinth von Stängeln, Gebüsch und Geäst einzudringen. Erste Versuche hatten sie nachhaltig davon überzeugt, dass sie ohne Schrammen, Kratzer und die Bisse aggressiver Insekten nicht wieder herauskommen würden. Ein morscher Ast hätte einen unbehelmten Fahnder beinahe erschlagen. Ein anderer wollte Vipern ausgemacht haben. Niemand konnte so auf den Gedanken kommen, verbotene Stoffe, die etwa hier vor Ort gediehen, seien in den Salben, Pülverchen und Latwergen enthalten. Man beließ es bei Verwarnungen und Mahnungen zum Thema Gartenarchitektur (Unser Behmberg wird schöner!). Auch die Nachbarn hatten resigniert.

Der Meister war eigentlich Maler und Illustrator von Beruf. Farben hat er schon immer gerne angemischt. Durch schwache Dosierung war eine falsche Anwendung beim Nutzer oder der Nutzerin ausgeschlossen. Zumal die Abgabe dieser Elixiere stets ablief wie ein unbefangener Besuch nach der Methode Tupperware. Die weitverzweigte Familie des Meisters diente als Mittler und wusste um den wahren Grund der Wirksamkeit solcher Mittel.

Es war die Bewegung - in der Sprache der Behmberger das Hutschen - seines Stuhls, das ihn Gedanken-Reisen unternehmen ließ und Ideen für neue Mischungen eingab. Für diese spirituellen Erkundungen bedurfte Meister Ungherbroeder keiner weiteren Hilfsmittel.

Er nutzte sie als Quelle der Inspiration. Auch in seinen Gemälden und Zeichnungen spiegelten sich diese Erfahrungen wieder. Wie alle Künstler behielt er sich das Privileg vor, über Inhalt und Aussage seiner Werke nicht zu sprechen, allenfalls sich auf eine Diskussion über künstlerischen Techniken einzulassen.

Der Meister war häufig über mehrere Tage abwesend, und nur wenige ahnten, dass er wie ein nordischer Troubadour im Dienste einer geheimnisvollen Signora jenseits der Alpen stand, der Vorbesitzerin des Stuhls.

Solche Aktivitäten befremdeten allerdings Behmberg, und die lange in Schlamperei versunkenen Behörden starteten eines Tages erneut eine Garten-Razzia. Sie fanden zwar einen prächtigen Hexenring von Fliegenpilzen, doch die sprossen massenweise auch in den umliegenden Wäldern, wie jedes Behmberger Kind wusste. Allerdings fand Meister Ungherbroeder auf die bohrenden Fragen der Beamten nach der Präsenz eines mediterranen Schaukelstuhls (eine seiner Cousinen hatte sich verplappert) keine schlagende Antwort, im Gegenteil, er stotterte herum und machte sich bei den eifrigen Gesetzeshütern verdächtig. Die Gefühle, die ihn immer wieder über den Gotthard trieben, hatten ihn plötzlich überwältigt.

Man glaubte ihm vorläufig, dass es sich um ein historisches Möbelstück handle und zitierte ihn für den folgenden Tag aufs Revier.

Noch in der gleichen Nacht wurde der magische Schaukelstuhl von fremder und frecher Hand gestohlen, womit der behördliche Verdacht sich in Luft auflöste. Doch Behmberg litt, Kranke blieben krank, die Schönen wurden nicht noch schöner. Meister Ungherbroeder wollte kein einziges Bild mehr malen und blieb immer länger fort dort jenseits der hohen Kämme und Gipfel, wo die Sonne keiner besonderen Pflanzen bedarf, um die Menschen zu heilen.


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