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einhorn insel der seligen

Nancy


Böse Jungs haben sie mit Kreidekrakeln sozusagen getauft. Mit dem Namen einer anderen Nancy, die verlacht und erniedrigt werden sollte.

Andere haben mit ungeschickten Händen in der Inschrift auf dem Bauch der Neugetauften herumgewischt, vielleicht war es die richtige Nancy in Person. Aber der Name ist leserlich geblieben, denn Nancys Bauch wollte weiter Nancys Bauch sein. Die Fraktion der Auswischer, also der Verteidiger von Nancys Ehre, ist wohl massiv von der Partei der Schmierer behindert worden.

Die Figur in der Wand hat davon wohl kaum Notiz genommen. Ohnehin hält sie die Augen geschlossen – aus mönchischer Weltverachtung? Die Lippen sind leicht vorgestülpt, als wäre sie – in weniger mönchischer Weise – befangen, umfangen, gefangen in einem erotischen Traum.

Nancys Oberteil ist hauteng und betont die Brust. Einen BH hat sie nicht nötig. Von der Taille bis zum Nabel zeigt Nancy sehr viel steinerne Haut. Darunter sichert ein elegant geschwungenes Röckchen die Bedeckung der edlen Teile. Den Rücken hinunter schwingt eine nach vorne offene Bluse. Sie überwallt die auf die Pobacken gelegten Hände.

Insgesamt ist Nancys Garderobe durchaus eigenwillig und einfallsreich. Aber um das zu beurteilen, fehlen einem minderjährigen bösen Jungen die Voraussetzungen.

Außerdem wäre Nancy als Partnerin aus anderen Gründen nicht zu verachten: Große Broschen scheinen die Brüste beidseitig zu verdoppeln, die zu Knoten geschlungenen Gewänder in Höhe der Oberschenkel antworten ihnen und gehen in eine reich verzierte Schleppe über. Zum schlichten Halsband und schwerem Ohrschmuck trägt Nancy eine leibhaftige Krone. Das sieht weder nach Wein- noch nach Hopfenkönigin aus. Dahinter kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit ansehnliche Rücklagen auf Schweizer Konten vermuten.

Solche Gedanken sind besagten bösen Jungs gleichfalls ziemlich fremd. Sie wollen Mädels tratzen. Was sie für eine steif an einen Pfeiler gelehnte, mithin passive, langweilige, reizlose, uncoole Puppe halten, soll einem bestimmten Mädel aus der Gruppe gleichen und ihre jugendliche Schönheit (von der die Jungs keinen Begriff haben) verhöhnen. Die Jungs spekulieren dabei auf häufige Diskrepanzen und Dissidenzen unter den Mädels selber, die zu Kichersalven und Flüsterketten führen können, was deren Aufmerksamkeit einschränkt und Kitzel- und Knutschangriffe der Jungs begünstigt.

Was trägt sich nicht alles in deutschen Gotteshäusern zu! – Mobbing und Vorübungen zu erotischer Reife! Die neue Nancy selbst scheint als Wandschmuck wenig geeignet, um die Andacht junger oder alter Männer zu befördern.

In der Tat ergaben Nachforschungen, dass einer der Steinmetze, die beauftragt waren, die Kirche auszustatten, ein Buch über Entdeckungen in Brasilien, ausgestattet mit Zeichnungen de Brys besaß. Eine dieser Darstellungen zeigt eine Prinzessin eines Stamms der Amazonas-Indianer auf Brautreise. Der Steinmetz besaß die Unverfrorenheit, eine halbnackte, mit Brust und Nabel prunkende Heidin in einer christlichen Kirche zu verewigen. Schuld war jedoch der allerchristlichste Luther Martinus.

Denn der eben bekehrte, heimlich praktizierende Protestant von Steinmetz, war gezwungen, einen Auftrag der verachteten Katholiken auszuführen, denn er war auf dieses Einkommen angewiesen. Seine Frau war schon wieder schwanger. Aus Rache meißelte er eine heidnische Eingeborenenfrau mit dem beginnenden Bauch seiner Holden. Seine Spekulation, keiner der seiner Ansicht nach bornierten Katholen würde das Werk in jener dunklen Ecke genau betrachten, erfüllte sich.

Bis die bösen Jungs kamen.

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