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einhorn insel der seligen

Genderrätsel


Männlich? Weiblich? Müßige Frage?

Das Wichtigste, auch wenn es erst auf den siebzehnten Blick aufscheint und nur dann, wenn wir die biologischen Schwellen überwunden haben: ist die Hirnkapazität. Damit sieht es hier gut aus: Zeitungsleser()in, das ist schon was. Sieht nicht nach Netz aus, die Textur . Das Unterkiefer bleibt allerdings frei. Klar: es ist beweglich: muss helfen zu sprechen, zu gähnen, zu kauen, zu spucken, zu beißen, beim Küssen soll es einigermaßen stillhalten … Komplexe Aufgaben, meist ist eine multifunktionale Ausführung nicht empfehlenswert.

Dieses menschliche Exemplar schluckt mühsam an einem lesenden Mann (durch den Bartwuchs ist eine eindeutige Zuordnung möglich). Dessen Lektüre ist wohl ein Brief. Das Foto weist einen kryptischen Titel auf. Geheimnisse gehören zur menschlichen Natur, sind genderneutral.

Was dieses intellektuell also gut ausgestattete Wesen mimisch auszudrücken vermag, ist dagegen eher enttäuschend. Da wartet jemand ab, nimmt Pokerstarre an, mit einer leicht ironisch-spöttischen Note. Was soll’s? könnte es zu sich sagen.

(Aber auch wir könnten uns das fragen)

Oft entscheiden die Augen über Nuancen des Ausdrucks. Hier wird ein leichtes Plinkern des Lids angedeutet, das aber unbestimmt bleibt. Die Augenfarbe ist passend zur Halskrause gewählt, die ein Halsband vortäuscht, aber sicher nur ein Strickmuster des Pullovers ist. Immerhin steht Blau für Weite, Ferne, Sehnsucht. Aber ein entsprechender Trend im Mimischen ist absolut nicht gegeben.

Das Haar ist längst nicht mehr genderbestimmend. Es ist dicht, keine maskuline Glatze deutet sich an (Perücke? – kann nicht entschieden werden), seitlich wallt es übers Ohr (beidseitig? – die Perspektive lässt kein Urteil zu) wie (ebenfalls maskuline) jüdische Locken und erreicht, blasser werdend, die Schulter.

Die platte Nase nähert sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Schönheitsideal auch nur um eine Winzigkeit an.

Bleibt der Mund. In ihm steckt etwas, und etwas kommt heraus oder geht hinein. Was stellen wir fest?

Auf den intellektuellen Anspruch beharrt die Zeitungs-Grundierung. Helle Köpfe – bevorzugen sie nicht Pfeife oder Zigarre? Diese Frage darf auch Damen gestellt werden, schon George Sand zeigte sich bevorzugt mit einer Havanna. Mit stark zusammengekniffenen Lippen präsentiert sich diese wichtige Körperöffnung, dennoch setzt das haarschwarze Objekt, das das Mundinnere quasi verlängert (oder ausstülpt?), einen überdeutlichen Akzent. Wohin gehend?

Sehen wir einmal kühn (oder frech) von der Annahme ab, es handle sich um die realistische Darstellung eines menschlichen Wesens. Mehrere Arten unserer tierischen Verwandten haben lange, klebrige Zungen, um die Beute für eine anschließende Einführung in den Mundraum zu fixieren (Frösche, Ameisenbären). Sollen wir eine Mutation annehmen und genderneutral Guten Appetit! wünschen?


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