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einhorn insel der seligen

Tector


Da liegt die Maske, so grau wie die Steine und die vertrockneten Stängel am Boden. Die andern, die aufrecht stehen, die Sonne im Fokus, haben ihre grüne Farbe mühsam bewahrt. Nur wenige sind geknickt. Kleine Blättchen drängen zwischen dem Kies hervor. Sie wissen nicht, was sie erwartet.

Die Maske hat einer weggeworfen. Sie trägt die Endnummer 86. Wie kommt der Besitzer ohne Maske zurecht? Er kann nicht, wie Gras und Kraut, so tun, als hätte sich nichts verändert.

Im Steinbruch wird gesprengt und von Greifbaggern abgeräumt. Wie immer. Was soll sich denn geändert haben? Die Maschinen rattern dröhnend weiter, daran kann sich einer orientieren, auch wenn er schwankt und stolpernd geht.

Wohin will er? Kommt es noch darauf an, was einer will? Es ist überall gleich. Die meisten haben nichts bemerkt. Er gehört zu denen, die es später als die meisten gehört, aber sofort begriffen haben. Er hat die Maske nicht weggeworfen, er hat sie verloren. Jetzt sucht er sie. Er hat nicht mehr viel Zeit.

Tector – dein Protector, dieser Werbespruch saust durch sein Hirn, prallt gegen die Stimme aus den Nachrichten: Alarm! Darauf sind alle davongestürmt, haben die Maschinen Maschinen sein lassen, die konnten, die sollten auch alleine weiterarbeiten, die brauchten keine Masken, keine Schutzanzüge. Da wurde ihm klar, dass er die Maske nicht mehr hatte. Stimmt: er hatte sie neulich der Gaudi halber mit hinaus genommen und dort – vergessen.

Geschieht mir recht, denkt er, dabei bin ich kein Pessimist, nur Realist.

Er sucht im Gestrüpp und bildet sich ein, dass manche Pflanzen rasch reagiert haben und bereits zügellos wuchern.

Tector – Protector. Um das zu kapieren, brauchst du kein Latein. Aber Kapieren nützt nichts.

Dann die Detonation. Ohne vorige Sprengwarnung für Personal und alles, was in der Nähe unterwegs sein mochte. Möglicherweise fahrlässige Tötung in soundsoviel Fällen. Aber peanuts - nicht zu vergleichen mit der Zahl derer, die jetzt womöglich flach liegen, zu schwach für etwas anderes als die Horizontale, manche bewusstlos, andere taumelnd, sich an Mauern lehnend, in die Hocke gegangen ... Alle bekommen kaum mehr Luft. Wie der Mann, der die Maske sucht und sie jetzt doch gefunden hat.

Das Band ist gerissen. Er presst die Maske mit den Händen vor Mund und Nase. Aber er braucht die Hände genauso, um sich zu stützen, sich festzuhalten. Die Hände müssen für ihn denken, so lange, bis die Gedanken sich verflüchtigt haben.

Denn die Luft, die sie alle brauchen, die sich alle mühselig erhecheln und erkeuchen, ist eigentlich schon nicht mehr da.


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