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einhorn insel der seligen

Trepanation


Im warmen Sonnenlicht schenken mir die letzten fallenden Blätter ein Krönchen. So bin ich ein Flamingo geworden.

Wie viele Ärsche sind auf mir gesessen? Nicht viele. Sie sind es nicht, denen ich meine Unregelmäßigkeiten verdanke. Gewiss, sie haben geschabt, gequetscht und gewetzt, was die Backen hielten. Sprünge sind entstanden, Risse; aber ich wurde nicht wirklich aufgerieben.

Erst als mich der letzte Arsch verließ – verließ im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich mich hier abstellte und nie wiederkam – erst da begann mein Niedergang.

Vermutlich war es eine Gedankenlosigkeit, die pure Macht der Gewohnheit, dass er mich wie sonst an einem gewöhnlichen Fahrradständer ansperrte. Mitten unter zahlreichen Kollegen. Vielleicht wollte er mich auch glauben machen, es geschehe nichts Besonderes, er komme wieder, wir führen danach los wie zuvor, irgendwohin. Vielleicht hat er sich auch zu meiner Verstoßung entschlossen lange, nachdem er sich von mir entfernt hatte. Ein nagelneuer Kollege in einem Schaufenster könnte der Anlass gewesen sein.

Dass ich angesperrt blieb, bewirkte, dass sich mein Aussehen radikal veränderte. Ich bin von Natur aus nicht eitel, ich habe nie in einen Spiegel geblickt, aber ich fühle mich heute gegenüber all den Kollegen um mich herum – sie kommen angerollt und rollen wieder fort – minderwertig, ästhetisch angeschlagen.

Hätte mein letzter Arsch mich nicht angesperrt, wäre ich wohl rasch gestohlen worden und führe (sicherlich nach den nötigen Reparaturen) quietschfidel in irgendwelchen Gegenden herum, weit entfernt von hier. Das würde mich in keiner Weise stören.

So aber war ich den Einfällen und Ausfälligkeiten jüngerer und älterer Kinder ausgesetzt. Sie zerhackten meine Schädeldecke, wollten mein Gehirn erforschen. Sie legten es frei. Sie waren zu dumm, Erkenntnisse daraus zu gewinnen. Sie gaben das Spiel wieder auf.

Die Kollegen blieben stumm. Wie das ihre Art ist.

In den geöffneten Schädel drang der Regen. Bald schneite es, die graue Masse gefror, taute wieder auf, zerfaserte. Kein Arsch mag das. Kein Arsch wird mich mehr klauen.

Meine aufrechte, stolze Haltung habe ich bewahrt. Mein Körper rostet erst in Ansätzen. Doch ich weiß: meinem Körper bin ich egal. Er wartet darauf, dass mich jemand abschraubt und durch einen neuen, korrekt gebauten Sattel ersetzt.

Das Alter leidet, weil es schwach ist und hässlich. Doch Haltung bewahrt die Würde.

Bis zum Schrott.


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