
Wer Macht ausübt, tut gut daran, sich nicht andauernd öffentlich zu zeigen. Kraft und Ausstrahlung der Persönlichkeit wirken auch im Verborgenen.
Materialfehler bei der Ablichtung des Machthabenden lassen diesen verständlichen Wunsch gelegentlich scheitern.
Besudelt kann dann das hehre Antlitz erscheinen, wie gezeichnet von Missgunst, mit einem Adlerblick, der kaum seinen Weg finden kann zwischen den zusammengekniffenen Lidern.
Doch, Achtung! Niemals würde ein derart entstelltes Porträt unseres Führers öffentlich verbreitet werden. Mit ihm wären wir alle gedemütigt und tief beleidigt.
Es muss mithin Propaganda sein. Feindgesteuert. Der Hohe Herrscher als Rohling und Grobian, Augenwülste wie ein Neandertaler, Schmutz im Gesicht (und folglich in der Seele), finstere Menschenverachtung mahlend und kauend hinter sinnlichen Lippen, die jeder Sinnlichkeit verlustig gingen.
Solch verzerrte Bilder des Herrschers lassen sich leicht am Computer generieren, sie können eine unheimlich anmutende Ähnlichkeit erreichen.
Ausgangspunkt sind echte Fotografien, denn der Führer der Nation muss sich auch zeigen: am Nationalfeiertag, bei karitativen Aktionen, bei Staatstrauer, sogar bei Amnestien. Orden verleiht er persönlich.
Der Hohe Herrscher nimmt kein Bad in der Menge. Trotzdem wird fotografiert, was das Zeug hält, die fotografische Technik kann mittlerweile erhebliche Distanzen überwinden.
Es gibt noch keine Endlösung für das Paparazzi-Problem. Schließlich wollen wir alle, dass unsere Presse als eine freie gelte und keineswegs einer Zensur unterliege.
Der in der Fotomontage angedeutete Ausfluss von Nasenschleim muss als besonders schwer wiegender subversiver Akt gedeutet werden. Kein Volk darf sich von einem (Entschuldigung) Rotzenden oder Rotzer repräsentieren lassen. Das Hanebüchene dieses bildgebenden Tricks wird an der Fließrichtung klar, die, der Schwerkraft folgend, abwärts weisen müsste. Beziehungsweise: würde man das Porträt diesem Gesetz folgend umdrehen, stünde der Kopf Kopf und in seinem – unserem – Land würde das Unterste als zuoberst gekehrt erscheinen.
Heimtückisch gipfelt der destruktive Akt, den dieses manipulierte Porträt gerne vollbringen möchte, in der Darstellung von austretenden Körperflüssigkeiten. Neben der Nase produzieren auch die Augen und besonders der Mund Sekrete, die - nicht nur bei uns im Lande - als unrein und abstoßend betrachtet werden. Von anderen Ausflüssen ganz zu schweigen. Eine solche Kette von Assoziationen erweckt der vorgeblich herrschereigene Rotz (Verzeihen sie abermals das Wort – doch es entspricht sehr genau der Mentalität der Urheber dieses Skandals). Dass er (der Rotz) auch noch über dem einen Nasenflügel verschmiert ist, soll auf Unsauberkeit und Schlampigkeit des Besitzers hinweisen.
Lassen sie mich abschließend noch zum Ausdruck bringen, dass, wie wir alle wissen, Kriege aus weit geringerem Anlass geführt worden sind.
(Datum)
(Der Text entspricht nicht den nationalen Pressenormen und ist geeignet, staatsfeindliche Überzeugungen und Begehrlichkeiten zu wecken. Der Autor wird den einschlägigen Organen zur Beobachtung empfohlen; eine sofortige Verhaftung würde die Chance beschneiden, mit ihm vernetzt subversiv Tätige zu erfassen und später dingfest zu machen)
(gez. Zensor Nr. 47)
(Unterschrift)
(Datum)
(Beglaubigt)
(Zensuraufsicht H)
(Unterschrift)