top of page
Aktueller Eintrag
Frühere Einträge
Archiv
Schlagwörter

einhorn insel der seligen

Der Fenstergucker


Durch die Blume kommt vieles besser an. Auch ein bescheidener Gruß.

Auf der Treppe aber gehen, hoppeln, schweben oder humpeln die Herren und Damen auf und ab. Durch sein Fenster mit dem schlichten, aber schön geschwungenen simplen Nonnenkopf betrachtet der Hausmeister die auf und nieder Steigenden. Er grüßt jede Person, ohne Ansicht der Person, jedoch mit intensiv auf sie gerichtetem Blick, prall gefüllt mit einladender Freundlichkeit. Für die ebenfalls vorschriftsmäßige Verabschiedung genügt ein Lächeln bei gleichzeitig sanftem Nicken des Kopfes. Bei großem Andrang kommt der Hausmeister manchmal ins Schwimmen.

Er ist kein Voyeur. Den Damen sieht er zwar länger nach, aber nur, weil sie weniger hurtig den Höhenunterschied bewältigten als die Herren, sagt er. Im Schnitt, präzisiert er. Am oberen Ende der Treppe sollten die Herren warten und zusammen mit den Damen die Pforte durchschreiten. Allerdings beschäftigt den Hausmeister (will sagen: seine Augen) auch das Schwingen der weiblichen Hüften, er tröstet sich damit, dass solche Fokussierung „biologisch bedingt“ sei, darüber gebe es schlaue Bücher, die er eingehend studiert habe. Und er behauptet, diese seine Hüft-Eindrücke sofort zu vergessen, wenn die nächste Dame auftauche. Nein, er ist kein Voyeur. Er folgt lediglich den Befehlen seiner inneren Biologie, ohne seinen Job zu vernachlässigen.

Im Falle eines Sturzes – denn manchmal gleitet jemand aus und fällt, rückwärts oder vorwärts, je nachdem. Da muss er die Verunglückten aufsammeln und den Rettungsdienst alarmieren. Das tut er ungern, er schaut lieber. Aber es ist seine Pflicht, und er folgt ihr, mit leichter Verzögerung. Sein Mitgefühl beweist er, indem er die gestürzten Personen (manchmal sind mehrere ineinander verhakt) mit einem „Hoppla“ tröstet, das hörbar von Herzen kommt.

Auch die Pflege der Blumen, sie zu gießen und notfalls zu stutzen, ist eine seiner Aufgaben. Wenn sie welken, muss er sie ersetzen. Auch hier ist er langsamer, als er sollte. Denn er liebt dieses Völkchen der Treppler, wie er sie privatim nennt. Vor allem die Kinder. Sie laufen und springen, sie stürzen praktisch nie, und er braucht seine Zuschauerei nicht zu unterbrechen.

Wenn das Etablissement oben schließt, mutiert der Hausmeister zum Nachtwächter. Im Prinzip darf er schlafen, denn das große Tor zum Hof, einziger Zugang auch zur Treppe, wird nachts verrammelt. Aber immer wieder wecken ihn verkommene Existenzen, meist Besoffene, die mit lauten Schlägen ans Hoftor Einlass begehren. Oft nur, um ihn zu ärgern, denn sie tauchen auch tagsüber auf, er muss sie dann hinausbefördern, ohne das Risiko gefährlicher Körperverletzung einzugehen. Wenn sie auch nur die untersten Stufen der Treppe betreten, bekommt er Ärger. Eine Überwachungskamera zeichnet alles auf. Leider auch die Momente, in denen er Fehler begeht.

Für die Beleuchtung erklärt sich der Hausmeister als nicht verantwortlich. Allerdings freut es ihn diebisch, wenn Besucher nach einer tieferen Bedeutung des roten Lichts fragen, das vor allem nachts auch aus größerer Ferne nicht zu übersehen ist. Meist wird seine Antwort, es handle sich um einen Tanzsaal mit Ausschank, und dem ermunternden Zusatz, Herren seien dort häufig knapp, mit einem breiten Grinsen beantwortet. Männer in aufgeräumter Stimmung, die trotzdem an eine tiefere Bedeutung der roten Farbe glauben, taumeln alsbald die Treppe wieder herunter, gestoßen vom Kollegen an der oberen Pforte, der eine allzu freizügig formulierte Forderung nach Einlass in die falsche Kehle bekam.

Für seinen Willkommensdienst muss der Hausmeister seinen Bart pflegen, korrekt geschneuzt sein und sein Make-up täglich erneuern. Eine Hausmeisterin steht ihm hierzu nicht zur Verfügung. Im Eingangsbereich der Keller, wo er nächtigt, verwahrt er die nötigen Utensilien nebst einem Spiegel in einer Truhe.

Da körperliche Aktivitäten (außer der Zurückstoßung unerwünschter Eindringlinge und der vorläufigen Bergung gestürzter Personen) im Hausmeisterleben rar sind, ist dem wackeren Mann ein Bauch gewachsen, mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass dieser als Kissen die rauhe Kälte der Mauer, an die er sich Stunde um Stunde, Tag für Tag lehnt, abmildert. Denn er steht dort stets im Schatten, und die anderen steigen auf und nieder im Licht.

Der Hausmeister liebt seinen Beruf, obwohl es vorkommt, dass er verspottet wird: er sei doch nichts als Kulisse, bloßer Hintergrund und armseliger Blickfang einer Fensterlaibung, ein pseudo-menschliches Element. Ein korrekt und dabei herzlich begrüßter Gast sei ein guter Gast, pflegt er, seinen Unmut bezähmend, darauf zu antworten.

Der Hausmeister ist glücklich, diese Tätigkeit überhaupt ausüben zu dürfen. Eigentlich sei er nämlich dafür zu klein, erzählt er oft. Aber natürlich habe er vor der Bewerbung seinen möglichen Arbeitsplatz eingehend besichtigt und einen passenden Hocker mitgebracht.

Jetzt wechselt er manchmal vom Hocker auf eine niedrige Leiter, um nicht dauernd dieselben Muskeln zu beanspruchen. Wenn kein Gast in Sicht ist, wippt er auf und ab.

Manchmal wird er gefragt, welche Bedeutung die kleinen Wandfiguren an dem Pfeiler direkt ihm gegenüber hätten. Er antwortet, nachdem er so getan hat, als müsse er kurz überlegen: Die eine steht im Licht, die andere im Dunkel! Und wiegt dazu den Kopf wie ein gütiger und geduldiger Lehrer. Das wirkt. Der Fragende versteht die Replik nicht, scheut sich, das zuzugeben, obwohl ihn sein verwirrter Blick verrät, nickt wissend und geht stumm weiter.

Die tatsächliche Bedeutung zu kennen, gehöre nicht zu seinen Aufgaben, erklärt der Hausmeister.

Um sein Privatleben ist es, auf den ersten, flüchtigen Blick, nicht besonders gut bestellt, da sein Dienst ja auch die Nacht umfasst. Dennoch: An den Vormittagen, wenn der Betrieb droben noch nicht läuft und das große Hoftor geschlossen ist, kann er eine Auszeit nehmen, da nur Bedienstete, also Kollegen, auf der Treppe zirkulieren, die ohnehin, stünde er an seinem Platz, nur dämliche Witze reißen würden.

An den Vormittagen also gibt er für seine wenigen Freunde (die manchmal dafür ihre Arbeit schwänzen) zum Frühschoppen ordentlich einen aus, besorgt sich alkoholische Vorräte und neue Klamotten, besucht ein Friseur-Studio und haut so sein Gehalt, das die Nachtzuschläge zu einem sehr stattlichen aufschwellen lassen, auf den Kopf. Für das Engagement einer Hausmeisterin (was ihm durchaus das Wichtigste wäre) reichte das bisher noch nicht aus und, das gibt der Mann selber zu, die Prognosen stehen schlecht.

bottom of page