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einhorn insel der seligen

Kreuzbergbär


Der Zahn der Zeit ist stumpf. Aber die Zeit nimmt kein Ende. Materie, der Zeit ausgesetzt, wird schwächer, gibt nach. Bröselt und bröckelt.

Es ist ein wilhelminischer Bär, er hält sich kerzengerade und schreitet über eine Weltkugel, auf der Preußen gern weiter gewachsen wäre, so wie es ein Jahrhundert lang beharrlich und stur gewachsen war. Doch die Verhältnisse sind nicht mehr so. Kein preußisch Blau mehr, nur Gründerzeitgrau und ein Schuss Rot, das Blutrot der Schützengräben. Der Bär jedoch marschiert unbeirrt und wird bald kopfüber stürzen.

Die tiefe Blessur an der Schulter, das zerbrochene Krönchen - nichts soll ihn am Marschieren hindern. Kein Brit, kein Russ, kein Franzmann.

Die Vorderpfoten richtet er nach vorne aus wie ein Boxer. Der Gegner ist unsichtbar und unbesiegbar, ist nicht nur sein Gegenüber, ist überall. Nagt an ihm. Klammheimlich. Rechte wie linke Gerade sausen ins Leere.

Bedenklich die Falten, die sein Bauch wirft, als läge das Geschlinge der Därme frei. Ist sein Wanst, der so prall gefüllt war, so sehr geschrumpft? Hat er sich überfressen?

Die Reverenzen sind vorbei. Man erweist ihm keinen Respekt mehr. Jemand hat an seinem Schwänzchen eine vertrocknete Blume befestigt, ihm zum Hohn. Er mag es nicht beachten. Er gedenkt zu bleiben, was er war: ein Berserker.

Sein eiserner Pylon ist übler versehrt als er selbst. Er hat seine Gestalt behalten, er kann sich einbilden, mit ihr Furcht zu verbreiten, mindestens zu imponieren. Einem wilden Bären zu begegnen, davor scheut jedes vernunftbegabte Wesen zurück. Darauf baut er.

Er spürt nicht, wie Span um Span, wie Splitter um Splitter von ihm abfällt, er wird die Spinnen nicht beachten, die ihn jagend umzingeln. Das Auge starrt nach vorne auf den Weg, den er nicht mehr gehen wird, in Erwartung der Kämpfe, die schon verloren sind.


Und nirgends eine Spur von Tragik.

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