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Einst wurden wir befragt, wer wir seien und wenn ja, wie viele.

Ich habe seinerzeit nicht reagiert und mir gedacht: natürlich müssen wir viele sein, ein Bündel von Sprüchen und Widersprüchen. Erkenne dich selbst! wurde einem schon in der Schulzeit vorgesetzt, aber ohne Rezept. Mit dir musst du klarkommen, hieß es einmal, und dann wieder: Sei wandelbar! Wer sich nicht anpasst, geht unter, das lehrt die Biologie. Aber um ein someone zu sein und kein nobody, braucht man da nicht in erster Linie einen Rückhalt in sich selbst, schlimmstenfalls einen Sturschädel?

ER hat es erreicht zu überdauern, in Stein gemeißelt. Und ER hat sich nicht wie unsereins mit einem Namen und einem oder zwei Daten begnügt. Einer wie ER kann sich über Geburts- und Sterbedatum, über die Dauer seines Aufenthalts hienieden erheben. Denn ER hat seine Gemeinde mitgenommen in die vorläufige Ewigkeit, vor allem aber seinen Kaiser und dessen Menschenvernichtungszüge durch ganz Europa, die ER wunderbarerweise überlebt hat. Das können nicht viele seiner Landsleute und noch viel weniger seiner sogenannten Feinde von sich sagen, die damals Kriegdienste leisten mussten. Das schreit nach dauerhafter Erinnerung.

In der Ortschaft Varengeville kannte ihn wahrscheinlich jeder. Vom Kriegsdienst hatte ER hohe Auszeichnungen mitgebracht, und als späteren Gemeindebeamten musste ihn jedermann respektieren.

Ich ertrage eine solche Art von Gedenken immerhin leichter als jene Kriegerdenkmäler meines Jahrhunderts, auf denen Soldaten mit ihren Waffen herumfuchteln oder hohe Offiziere stramm stehen (vor wem? vor Gott?). Wir lesen die Erinnerung auf einer Steinplatte, Pathos wird uns nicht aufgedrängt durch eine Statue, es verbirgt sich hinter Worten. Dort kann ich es lassen.

Sein Name bringt mich ins Grübeln. Waren seine Urahnen Wikinger? Haben sie ihn zu solch exzellenter soldatischen Tauglichkeit befähigt? Ich stelle ihn mir aufgrund seiner Orden als Haudegen vor. Als gewöhnlicher Dörfler konnte ER es in einer Militärkarriere nicht sehr weit bringen.

Blumen finden sich nicht an seinem Grab. Nur Steine: die riesige Platte für den unsterblichen Ruhm und unzählige kleine Kiesel für die zahllosen namenlosen Opfer der Napoleonischen Kriege.


(Foto: Max Mayr, Weggis)


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