Bin ich hier willkommen?
Dieses in die Jahre gekommene Kind, musste die Tür nur einen Spalt weit öffnen, um herauszugleiten und sich vor mir aufzubauen. Ein schrilles Quietschen hat diesen Auftritt begleitet. Ich erschrak und wich einen halben Schritt zurück.
Verwahrloste Häuser scheinen sich in einer langen Zeile nach beiden Seiten aneinander zu reihen. Der dichte Nebel hatte sich gelichtet, da miaute die Katze, und der Junge stand vor mir. Wie in einer Geisterbahn.
Meine Kumpels habe ich verloren, kaum dass wir aus dem Zug ausgestiegen waren. Unseren geplanten Treffpunkt mit den Leuten vor Ort, ein Gasthaus mit dem seltsamen Namen Zum stillen Untergang, wie hätte ich es gefunden, wenn man gerade ein paar Schritt weit sah?
Der Knabe breitet nicht etwa die Arme zum Empfang aus. Die Linke hat er zwar gehoben, wie um zu winken, aber er winkt nicht. Die Geste könnte auch bedeuten: Halt, stehen bleiben! Wäre da nicht dieses dünne, wie aufgemalte Lächeln.
Die Katze scheint hin und her gerissen zwischen Neugier und Abwehr. Sie sitzt genau an der Schwelle, hat eben das Hinterteil von der gemauerten Kante gehoben. An ihr muss jeder Besucher des Hauses vorbei.
Kerzengerade steht der Türhüter da, nur das linke Knie ist leicht gebeugt, das sagt: Ich kann bei mangelndem Interesse jederzeit verschwunden sein. Mach keine Stielaugen. Folge mir ins Haus oder geh deiner Wege.
Ich habe ihn die ganze Zeit angestarrt: die vom Hut auf die Stirn gedrückten, schweißverklebten Haarspitzen, die in unterschiedlicher Höhe aus dem Kopf hervorploppenden winzigen Ohren und die rechte Hand, die sich am Hintern kratzt.
Was mag drinnen vorgehen? Völlig dunkel scheint es nicht zu sein.
Er hat plötzlich aufgestampft. Ein dürres Kerlchen, aber wieder bin ich erschrocken, und ich verliere die Lust, ihn zu fragen. Es ist möglich, dass er stumm ist. Ich gehe auf ihn zu. Er dreht sich ein Stück von mir weg, seine Bewegung ist die eines Roboters. Die Tür schwingt geräuschlos auf.
Die Katze schaut demonstrativ an uns vorbei.
Drinnen sind ein paar Stühle im Halbkreis aufgestellt. Mitten auf der Bühne thront eine abgewetzte Guillotine. Gleichzeitig mit mir treffen aus verschiedenen Ecken andere Leute ein. Sie werfen einen Blick auf die Bühnendekoration und nicken sich zu, als wüssten sie Bescheid.
Einige sitzen schon. Ein Theaterstück, gratis. Die Generalprobe?
Wir rücken enger aneinander. Die, die ganz außen sitzen, trifft es vielleicht eher. Wir nesteln an unseren Masken.
Über Lautsprecher folgt eine Belehrung zur Rechtslage und zu den Hygieneregeln. Diese seien für Angeklagte, Anwälte, Zeugen, Vollstreckungsbeamte, ja sogar für Richter identisch.
Kinder bringen eine Schale mit Wasser und ein Seifenstück. Jeweils drei Personen müssen es sich teilen. Wer sich zu hastig wäscht, wird mit einer Trillerpfeife zur Ordnung gerufen.
Wir schweigen. Wir schlucken. Der Türhüterknabe trägt noch dasselbe Lächeln zur Schau, für uns ist es ein Grinsen geworden.
Die Katze hat sich verzogen. Katzen sind nicht dafür bekannt, Empathie zu entwickeln.
In landeseigener Kluft betritt der Henker die Bühne, ihm werden von einem Mädchen, das exakt gleich gekleidet ist wie der Türhüter, ein Klapptisch und ein Klappstuhl gebracht. Danach ein Tablett mit mehreren Schüsseln. Was drin ist, können wir nicht sehen. Der Mann verzehrt vor unsern Augen sein Henkersmahl mit gebührendem Appetit, ja fast mit einer Andacht, die auf uns übergreift. Ihm steht eine Stärkung zu, denken wir, denn er wird gleich schwere Arbeit verrichten. Er schmatzt. Mehrmals fallen Knochen zu Boden. Das müssen wir ihm wohl nachsehen.
Dann tritt der Türhüter nacheinander zu uns und dirigiert uns an den für jeden vorgesehenen Ort. Gestik und Grimasse sind gleich geblieben.
Wir sind Schauspieler geworden. Irgendwo muss eine Kamera installiert sein.
Personalausweis, Führerschein sowie die Krankenversicherungskarte sind abzugeben.
Ein lauter metallischer Knall, und wir fahren zusammen. Das Beil ist gefallen. Der Henker lacht dröhnend und wedelt mit dem Kopf einer enthaupteten Puppe herum. Probe, war nur eine Probe, Kinders! tönt er und nimmt einen gehörigen Schluck aus dem Flachmann. Wir sind hier nicht im Stillen Untergang, Leute!
Erst jetzt bemerke ich: Richter, Anwälte und sonstiges Personal sind verschwunden.
Nach der Kamera suche ich noch immer, natürlich ohne es mir anmerken zu lassen.
-------
Nun könnte plötzlich das Licht ausgehen, wir würden im Dunkeln den Ausgang suchen und uns gegenseitig über den Haufen rennen, während der Henker nicht aufhörte, dröhnend zu lachen und den Mechanismus des Fallbeils immer wieder betätigte. Ein Happening.
Oder eine der anwesenden Personen hätte per SMS heimlich drei riesige Molosserhunde herbeordert, die sich auf den Henker stürzten. Der wäre mit einer Behändigkeit, die keiner vermutet hätte, auf die schwankende Spitze seiner Guillotine geklettert und hätte sich gerettet. Slapstick.
Es könnte jedoch genauso gut der Wirt des Stillen Untergangs in Begleitung meiner Kumpels auftauchen und mich unter heftigen Beschimpfungen (Improtheater! Schmierenschauspieler! Kitschbude!) herausholen. Happy-End.
Aber ich sehe, ihr habt genug von meinen Einfällen. Und so schließe ich mit dem Satz:
Das war eine verdammt vertrackte Geschichte!
Comments