
Auf dieser Wiese herrscht eine eigene Philosophie. Mit großer Geste werden Verhüllte zurückgewiesen. Die linke Hand mahnt, stehen zu bleiben. Die Rechte weist auf das Terrain, wo unbekleidete Menschen sich tummeln. Ausziehen! sagt der Blick und er scheint die unerwünschten Textilien zu durchbohren.
Die Hüter solcher Freizügigkeit sind unbestechlich. Wenn der stumme Hinweis nicht verfängt, beginnen sie zu reden. Erst leise, fast sanft, dann bestimmter, zuletzt im Polizeiton: Hosen und Höschen - sofort runter! Oder ab die Post!
Öffentlich Nackte glauben fest an die ÉGALITÉ. Ein Sonderstatus in ihrem Kreis ist nicht willkommen. Wer ein wesentliches Teil des Menschen nicht zeigen will, der hat womöglich mehr zu verbergen. Trau, schau, wem?
Diese Gleichheit ist allerdings scheinbar, den niemand ist gefeit gegen vergleichende Blicke: Hier Muskeln, dort keine; hier gesättigte, dort bleiche Körpertönung. Nicht alle Bäuche und Gesäße runden sich harmonisch, und es ist allgemein bekannt, dass Männer nicht schwanger werden können. Man zeigt schlicht und ergreifend was man hat (man muss oder man darf).
Das Wort Sonnenanbeter schätzen die Nackten auf der Wiese nicht. Sie wollen nicht für Esoteriker gehalten werden, sie beharren auf ihrem ganz eigenen Außenseitertum. Sie freuen sich wie wir über Sonnenschein, aber sie benötigen ihn nicht, um in ihrer Nacktheit glücklich zu sein.
Was sind sie in der Lage zu tun, was ein bekleideter Mensch nicht oder nur unvollkommen bewerkstelligen könnte? Diese Frage wird ihnen oft gestellt. Meist antworten sie: Probier‘s doch aus! Wenn wir uns zieren, können wir uns fragen, ob der Gewinn dabei die Überwindung von Scham- und Angstgefühlen ist, die den Menschen auch zu anderen Gelegenheiten in seiner Entfaltung hindern.
Oft kommen die Nackten auch mit dem Argument, in der griechischen Antike, in den Wurzeln unserer Kultur, sei man mit der Nacktheit völlig unbefangen umgegangen, ja, der nackte Körper sei das Urbild von Schönheit gewesen. Manche Aufpasser von heute tragen deswegen künstliche Hörner, um so an Pan oder das Volk der Satyrn zu erinnern.
Im antiken Griechenland blieben die Frauen jedoch brav im Haus. Wurden sie künstlerisch verewigt, trugen sie ein langes Gewand.
Unwillkürlich fragt man sich ja als Mann: Ist eine nackte Frau begehrenswerter als eine bekleidete? Wäre es so, wären dann nicht alle Raffinessen der Mode für die Katz? Oder ist das Begehren stärker, wenn man selbst nackt ist (und nicht nur die eine, die du begehrst, sondern alle anderen auch)?
Andere werden sagen: Begehrenswert ist nur, was man sich ehrlich erkämpft … nun ja …
Wie empfinden – umgekehrt - Frauen die Situation? Wir Männer werden’s nie erfahren.
Wir können uns höchstens fragen: Was erregt mehr Aufmerksamkeit: die primären oder die sekundären Geschlechtsmerkmale?
Dort auf der Wiese - wissen sie’s?