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einhorn insel der seligen

Verschlingungen


Ich behaupte: was der Graffito zeigt, könnte überall in uns vor sich gehen. Etwas Fremdes findet Eingang in einen Körper, wird aufgenommen, wird inwendig verändert und wieder ausgestülpt.

(… wenn beide Enden sich zusammenschlössen, entstünde dann ein Kreislauf?)


Ist das Eine, das durch das Andere geht, ein eigenständiges Wesen? Ist es noch dasselbe, wenn es, wahrscheinlich grundlegend verändert, das Andere (das seinerseits Veränderte) wieder verlässt oder hat es eine neue Identität angenommen?

(… und wenn ja, ist das so wichtig?)


Da sind Kreuzwege, wo es aussieht, als wäre eine Umkehr möglich, ein Zurückkehren zum Ausgangspunkt. Die Bewegungen sind nicht durchgängig beobachtbar. Die meisten klugen Leute, glaube ich, nehmen an, dass sie irreversibel sind wie die Zeit oder das Leben.


Wenn ich von Körper gesprochen habe, meine ich nicht den großen, der sechzig, achtzig und mehr Kilo wiegt, sondern die ganz kleinen Bestandteile des großen, also vielleicht Zellen oder – was es sonst noch gibt in uns.

(… allein was im Blut herumschwimmt: Botenstoffe, Abwehrkörper, Hormone …)


Wenn ich solche grotesken Verschlingungen sehe, finde ich es sehr schade, dass ich keine Ahnung habe von Humanbiologie und zugehöriger Chemie. Und ich merke, dass alles, was ich gerade hervorgebracht habe, wahrscheinlich nichts ist als heiße Luft.


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Ich versuche also, dieses Geschlinge als Schrift zu lesen, es gibt ja solche wunderbar verschlungenen Alphabete, etwa in Indien, in Äthiopien, im Kaukasus. Gar nicht zu reden vom Arabischen. Doch das Herumphantasieren wird sofort zum Spintisieren, weil ich all diese Schriften nicht beherrsche. Ich suche mich aus der Affäre zu ziehen und sage: Es ist ein Bild. Also eine Art Gemälde.


Halb abstrakt. Halb, weil ich versuche, etwas Reales daran zu erkennen. Tanzende Würmer, zum Beispiel. Oder wuchernde Wurzeln. Ein Pilzmyzel.


Weil wir stets geneigt sind, uns eitel in allem und jedem zu spiegeln, komme ich auf den Gedanken, statt Würmern könnte es sich um Menschen handeln, vier Personen, genauer gesagt. Tanzen sie? Kämpfen sie? Schuften sie schwer …? – Zwei schuften; die zwei anderen, die neben ihnen stehen, feuern sie an und halten das Anfeuern für gleich berechtigte, gleich wichtige oder wichtigere Arbeit. So konnten die Pyramiden, die Paläste, die Türme von Babylon und Katar entstehen.


Wohin auch immer diese Gedankenreise noch führen mag, eine gewisse Harmonie ist diesen Verschlingungen nicht abzusprechen. Es ist Leben und Schwung in ihnen, ob im Großen, ob im Kleinen.

Man ahnt das Vergnügen in der Hand des Sprayers.


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