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einhorn insel der seligen

Höllische Visite


Da sitzt er und zählt die Häupter seiner Lieben. Mit abgespreizten Gliedmaßen flacken sie im Kreis, schlummernd und träumend von den Wonnen der Hölle, angenehm bezwungen von der Macht des Hopfen- und Traubengeistes, den ihnen Satan im trauten Gespräch hatte zukommen lassen. Das Gluckern hat nun ein End. Zufrieden dreht der Höllenmeister über einen der Zecher hinweg den Schutzengeln elegant eine Nase.

Diese haben fahrlässig gehandelt. Wieder einmal. Immer wieder trickst sie der Teufel aus! Aussperren haben sie sich lassen aus dem Hinterzimmer, und nun blicken sie hilflos durch die Scheiben, klopfen mit ihren zarten Knöchelchen dagegen, gestikulieren und schlagen mit den Flügeln.

Was für ein Radau.! Überspannte Hennen! So schnalzt es aus Satans Kehle.

Seine Zerrbilder in den Gläsern amüsieren den Meister. Sie vermitteln den humorigen Aspekt seines Charakters.


Worüber ging das Gespräch der Teufelskumpane?

Man sprach über die Macht des Schicksals und die Ohnmacht der guten Tat (wozu die Schutzengel, im Lippenlesen geübt, heftig und unter Tränen nickten), man diskutierte über verschiedene Formen irdischer Bosheit.

Große Heiterkeit hatte der Bericht über den Plan erregt, eine Figur Satans auf ein Hausdach der Stadt Bullfeld zu versetzen. Sein Abbild hätte grinsend auf die nahe gelegene Kirche gewiesen und ihr, stellvertretend für alle brav katholischen oder streng lutherischen Einwohner von Bullfeld, eine Nase gedreht. Satan benötige auch in der Winterkälte keine Bedeckung, war ergänzt worden. Das frei baumelnde Geschlechtsteil stelle jedoch keine Provokation dar, da den Hauptplatz der Stadt bereits eine hüllenlose Figur ziere, die, obgleich angeblich einen Heiligen darstellend, scherzhaft und durchaus respektlos Nackerter Schorsch genannt werde.

Als er daran erinnert wird, klatscht sich Satan vergnügt mit der Hand auf den Bauch und lacht mit höllischem Gesäßdonner auf, dass alle Schläfer aus ihren Träumen auffahren, sich verlegen am Kopf kratzen und heiser nach Kaffee rufen.

Auch die Staffel der Schutzengel hat sich aus einer Wolkenbar Kaffee beschafft. Sie fühlen sich jetzt imstande, eine Litanei anzustimmen. Was sollen sie sonst machen?

Einer im Kreis, ein Dichter, springt auf und rezitiert, wie als Antwort darauf, ein Gedicht:


Er hockt‘ auf seines Daches Zinnen

und grinste mit vergnügten Sinnen

zum ahnungslosen Bullfeld hin.

„Dies alles ist mir untertänig,

doch es ist mir noch viel zu wenig,

weil ich ein großer Hundling bin.“

Ein jäher Schluckauf wirft an dieser Stelle den Dichter nieder. Ein Glas wird umgestoßen und geht zu Bruch. Keuchend und japsend zieht sich der Dichter aufs Klo zurück.

Er hätte sich nur noch mehr blamiert, sagt sacht ein Kundiger aus der Runde in die Stille hinein: Fast alles von diesem unsäglichen Text sei geklaut – oder vielmehr, er, der Herr Poet, würde sagen: postmodern zitiert. Ob sie wüssten, von wem?

Hauptmann? Ein Imitator eines Klassikers? Tucholsky? – nein; dann wäre es ja Satire.

Karl Valentin hat großes Massel, dass er nicht genannt wird.

Schade, dass die Familie DelRey den Plan mit dem Spottteufel auf dem Dachfirst wieder zurückgezogen habe, ergänzt ein Kenner der lokalen Szene. Eine lebensgroße Figur sei zwar hergestellt und verkauft worden, doch sie …

Herrje! Durch die sich wieder öffnende Klotür erschallt die Stimme des Dichters erneut. Die Kaffeetassen klirren, vergebens. Ein leises Stöhnen entringt sich diversen Brüsten.


… fand nie den Weg auf Daches Spitze,

wo Satan von dem höchsten Sitze

mit dem ihm eignen, schwarzen Witze

bewirkt hätt, dass die Kirche schwitze.

Noch stärker säß sie in der Patsche

als jetzt schon mit all dem Gequatsche

von Priesterlieb und Budenzauber,

von …


Da würgt es Satan, er lacht brüllend, was das Poesiegesumse spielend übertönt und den Dichter unsanft unterbricht. Alle sind gespannt, was jetzt wohl kommen mag, wenn das Lachen abebbt.


Nichts kommt. Satans Handy meldet schrillend einen dringenden Termin. Der Meister entschwindet in einer Rauchsäule von Schwefelwasserstoff durch die halb offen stehende Klotüre. Die Schutzengel kreischen auf. Die Zechkumpane blicken sich bedropst an. Geschwind kassiert die Kassiererin , wobei sie sich demonstrativ die Nase zuhält. Diese Geste lässt reichlich Trinkgeld fließen. Niemand kann sich drücken. Schweigend verlassen alle das Konferenzzimmer des Dorfwirtshauses und zerstreuen sich hurtig. Den Schwefelgeruch nehmen sie mit ins eheliche Bett.


Imagine!

(Tonfigur, geschaffen von A. Ebenbeck, Traidendorf)

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