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einhorn insel der seligen

Letzte Worte


Man denkt, man habe alles hinter sich. Endgültig. Doch es gibt ein Nachspiel.

Tot zu sein genügt nicht. Der Sinn des Lebens muss zerstört werden.

Was waren das für Leute, wird ein Besucher fragen, die sich nicht um das Gedenken an ihre Verstorbenen kümmerten?

Konnten sie es nicht? Durften sie es nicht?

Was waren das für Leute, wird ein anderer fragen, dass man sich noch nach ihrem Ableben auf diese Weise an ihnen rächen musste?

Wer hat aber verhindert, dass die Grabplatte weiter zerschlagen wird, so dass die Inschrift nicht mehr zu entziffern wäre?

Wer hat ferner beide Teile so nebeneinander gestellt, dass sie, obschon zerbrochen, immer noch (oder wieder) eine Einheit darstellen?

Es sieht aus wie ein Kompromiss jenseits des Grabes, jenseits der Zeit, etwa so:

Jemand hat sich ein würdiges Begräbnis, ein dauerhaftes Totengedenken (nach Meinung mancher oder nach Meinung der Mehrheit) eigentlich verscherzt. Doch ihm wird verziehen. Oder es geht weiter, bis zum bescheidenen Versuch einer Rehabilitation.

All das ist vermutlich lange her. Der fremde Friedhofsbesucher kennt die Zusammenhänge nicht. Er braucht sich das Schreckliche, das mit dem Zerstückeln der Grabinschrift wahrscheinlich verbunden war, nicht vorzustellen. Er kann sich sogar an den altertümlichen Lettern erfreuen, die so solide verankert sind nach oben wie nach unten, zum Himmel wie zur Erde.

Dann kommt ihm plötzlich der Gedanke: Die Familie hat sich für einen anderen Grabstein entschieden und den vorigen achtlos an der Friedhofsmauer entsorgt. Und ein nachlässiger Wärter hat sich nicht weiter drum gekümmert.

Es ist ein Einfall, für den der Fremde sich schämt, weil ihm ebenso plötzlich bewusst wird, in welchem Teil des Landes er sich befindet.

Hier fangen die Grabsteine ungefragt an zu sprechen.

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