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einhorn insel der seligen

Die Schönheit des Lebens


Einer unserer bekanntesten Schriftsteller wurde einmal gefragt: Herr K., wo bleibt das Positive? Was K. geantwortet hatte, ist nicht schwer zu erraten. Schriftsteller haben nun mal ein defätistisches Weltbild.

Seit dem Menetekel haben Schriften an der Wand etwas Umstürzlerisches an sich. Auch dadurch, dass sie ständig in Gefahr sind, mit Hausmeisterfarbe übertüncht oder – beinahe noch schlimmer - von der Prolo-Konkurrenz überschmiert zu werden.

Die meisten Schriftenmaler bevorzugen den harten Kontrast zum Untergrund. Hier hat der Meister der Spraydose ein zart besaitetes Himmelblau gewählt, das durch die hereinbrechende Dunkelheit dazu bestimmt scheint, in den Mauergrund zu versinken. Es will ja auch nicht beschimpfen oder kritisieren, es will einen Rat geben, eine Zielvorgabe nennen.

Wir verdächtigen ein wenig die Schrift selbst, dass sie Schönheit ausstrahlen soll, nicht nur mittels der Farbe. Sie wiegt sich in Musterschüler-Manier Kringel für Kringel über drei Zeilen hinweg und stoppt passgenau (allerdings auch knapp) vor dem Schlund eines Kellerfensters mit einem monumentalen Wort, der Pointe der Aussage.

Es ist ein Wort, das es nicht gibt – das es jetzt gibt, weil diese Mauer es verkündet und jeder des Lesens Mächtige es begreift. Das Un-Wort.

Schon nähert sich Herr K., zu Besuch in der Heiligen Römischen Reichsstadt R.

Was heißt denn hier überhaupt: Schönheit? herrscht er uns an. Und was: Leben? Auch der Blumenkohl, den ich gerade im Ratskeller verspeiste, hat gelebt, vom Schwein des Bratens ganz zu schweigen und von Ihnen und mir sowieso!

Wir schweigen tatsächlich, durchaus beeindruckt. Als Schriftsteller ist Herr K., als Sachse in Bayern lebend wie weiland Karl Valentin, natürlich rhetorisch gut drauf. Allerdings hat er es eilig. Er wartet zweieinhalb Sekunden auf unsere Antwort, marschiert dann vorbei, hüstelt demonstrativ und ist schon um die Ecke verschwunden.

Wir fassen uns. Es gibt ihn doch, den schönen Kohlkopf, auch Schweine sind, wenn frisch gewaschen und gut ausgelüftet, schöne Tiere, und wir – na, man bemüht sich!

Aber von alledem wollte der Meister der Dose sicher nicht sprechen. Herrn K. muss das entgangen sein. Hat er sich als Professioneller geärgert über das Un-Wort?

Der Meister meint etwas Unsichtbares, was nichts mit Waschen oder Kosmetik zu tun hat. Oder nur sehr am Rande.

Die ollen Griechen müssen so ein Wort gehabt haben, kalokaga- …, das über das Ästhetische hinaus auch moralische oder charakterliche Qualitäten umfasste. So wie ihr Wort kosmos sowohl Welt und Weltall als auch Schönheit und Ordnung bedeutete. Mann, waren das kopfgesteuerte Dampfplauderer! In der Realität haben sie sich genauso eifrig gegenseitig umgebracht wie wir heute. Walburga packt ihre humanistische Bildung aus.

Dann ist da noch das Wort Grad. Auch das hat K. ignoriert. Grad heißt doch: Schönheit gibt es nur in einer Skala von Mehr oder Weniger. Und sie hängt ab von der Unterworfenheit, nein, von deren Gegenteil.

Er schreibt Unterwürfigkeit, sagt Franz Xaver. Wieder so ein komisches Wort!

Dichter dürfen das, erwidert Walburga. Manche erwarten das sogar von den Dichtern.

Dass sie unsere Sprache verhunzen? Wer haut uns das um die Ohren? Gott, es ist ein stadtbekannter alter Deutschlehrer, der sich nicht mehr traut mit uns Jüngeren ernsthaft zu diskutieren. Er ist so schnell verschwunden wie Herr K.

Das heißt also dann, versucht Schwester Hildegundis zu resümieren, wir sind alle irgendwie unterwürfig, jemand hat uns unterworfen, aber wenn wir uns davon ein bisschen oder ein bisschen sehr und ein bisschen mehr losmachen können, dann spüren wir, wie schön das Leben sein kann – mit oder ohne alte Griechen!

Das sag mal deinem Chef, dem Papst, stichelt Boris. Islam heißt nämlich angeblich auch: Unterwerfung.

Wenn du nicht unterworfen sein willst, musst du dich dagegen auflehnen, sagt Walburga.

Der Meister des himmelblauen Sprays zeigt auch Schwächen, meint Boris. Er fängt seinen Satz mit einem Kleinbuchstaben an, das heißt, diese Worte sind eine Fortsetzung von einem anderen Satz, der anderswo geschrieben steht. Das ist Manipulation, schlimmstenfalls. Und der letzte Buchstabe, das -t kann auf das graue Pflaster stürzen oder ins Kellerloch kollern. Traurige Schönheit, das.

Und das –t (wieder das –t! wirft Franz-Xaver ein) des Verbs ist getilgt. - Da ist ein Kreuz, aber das passt nicht ins Schriftbild, das geht niemals als –t durch, meint Walburga.

Das Kreuz ruft Hiltrudis auf den Plan. Sie empfiehlt uns zu erwägen, ob hier nicht ein –e stand oder stehen sollte: Konjunktiv, Wunsch-Modus. Das wäre ehrlicher, meint Hiltrudis.

Und wenn wir nicht gestorben sind, diskutieren wir noch heute.

Herr K. starb übrigens 1974.

Aus uns sind leider keine Promis geworden, so dass das Internet über unsere Sterbedaten (falls gegeben) keine Auskunft gibt.

Die blaue Schrift wurde am 13. März 2016 abgelichtet.

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